Es ist wieder Frühling! Morgens, gegen 5 Uhr, wird man von fröhlichen Singvögeln geweckt und unser Eschborner Westerbach hat noch Wasser. – Und es ist Zeit für uns WEG-Verwalter, dass wir uns an Jahres-Abrechnungen und die Durchführung von Eigentümerversammlungen setzen.
Doch die ordentlichen Eigentümerversammlungen 2021 stehen unter zwei besonderen Sternen: den Gesetzen und Verordnungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie und dem am 1.12.2020 in Kraft getretenen Wohnungseigentümergesetz (wir berichteten). Es stellt sich also die Frage, was geht.
Die meisten, der von uns verwalteten Liegenschaften sind in Hessen, wir verwalten nur eine Liegenschaft in einem anderen Bundesland. Also beschränken wir uns auf die hier geltenden Regelungen und Vorgaben und beginnen mit der Hessischen Coronaschutzverordnung (CoSchVO) vom Oktober 2020. In der steht in § 1 Abs. 2 Nr. 2 CoSchVO, dass Zusammenkünfte mit mehr als 10 Personen aus geschäftlichen und beruflichen Gründen oder auch Sitzungen zulässig sind. Die hessischen Ministerien für Wirtschaft und Soziales erließen daraufhin Auslegungshinweise für diese Norm, in denen sie ausdrücklich Eigentümerversammlungen von Wohnungseigentümergemeinschaften als solche Ausnahmen nannten.
Jetzt wähnt man sich als Verwalter auf der sicheren Seite, denn man geht davon aus, dass die Ministerien sich nicht irren können. Doch: Falsch gedacht! Das Frankfurter Landgericht wiederum urteilte in zweiter Instanz, dass ein Auslegungshinweis nur ein Hinweis sei und geltendes Recht von einem Hinweis nicht abschließend definiert werden kann. Da andere Bundesländer ihre Coronaschutzverordnungen dahingehend auslegen, dass Eigentümerversammlungen nicht unter die Ausnahmen des § 1 Abs 2 Nr. 2 CoSchVO fallen, könne der Verwalter auch nicht davon ausgehen, dass der Hinweis der Ministerien die Durchführung einer Eigentümerversammlung erlaubt. Es könne nämlich auch sein, dass die anderen Bundesländer recht hätten und eine Eigentümerversammlung ordnungswidrig sei, da sie gegen die Coronaschutzverordnung verstoße.
Weiterhin erklärte das Landgericht Frankfurt, dass ein Verwalter die Eigentümer in der von ihm verwalteten WEG nicht sehenden Auges der Gefahr einer Ordnungswidrigkeit aussetzen dürfe. Die Eigentümer hätten ein Recht auf Absage der Versammlung.
Es geht hier ausdrücklich nicht um das Risiko der Gesundheitsgefährdung der Teilnehmer oder um die Frage, wie viele Teilnehmer überhaupt zulässig sind. Es geht nur um die Frage: Könnten die Teilnehmer einer Eigentümerversammlung eine Ordnungswidrigkeit begehen, weil die Durchführung der Versammlung gegen die CoSchVO verstoßen könnte? Und wie es bei den Gerichten und ihren Urteilen oft ist: Diese Fragen werden nicht eindeutig beantwortet. Sicher ist nur nach dem Urteil, dass die Eigentümer einen Absageanspruch haben.
Wie löst man als Verwalter das Dilemma: Einerseits sagt das hessische Wirtschaftsministerium, die CoSchVO sei so auszulegen, dass Eigentümerversammlungen zulässig sind. Andererseits sagt das LG Frankfurt, die Eigentümer hätten einen Absageanspruch. – Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir unsere Eigentümer mit der Einladung über den Absageanspruch informieren und bitten sie um rechtzeitige Geltendmachung des Anspruchs, um unnötige Mietkosten für große Corona-konforme Säle zu vermeiden.
Doch wir haben Mai 2021 und bis zum 30.06.2021 gilt neben der Coronaschutzverordnung auch noch die sogenannte „Bundesnotbremse“. Man kann sich natürlich auch fragen, welche Auswirkungen die Vorschriften der Notbremse auf die Durchführung der Eigentümerversammlungen haben. Zum Glück wurde diese Frage durch einen anerkannten WEG-Rechtler in einer Fortbildung beantwortet: Die Bundesnotbremse hat keine Auswirkungen, denn sie regelt die Kontaktbeschränkungen von Privatleuten etc. Sollte man der Meinung des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft folgen und annehmen, dass Eigentümerversammlungen unter die Ausnahme des § 1 Abs. 2 Nr. 1 CoSchVO fallen, dann bestünde vielleicht der Anspruch auf Absage, aber die Eigentümerversammlung ist keine private Feier o.ä. und nicht von den Beschränkungen der Notbremse betroffen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ob Eigentümerversammlungen 2021 durchgeführt werden dürfen oder nicht, ist nicht eindeutig zu beantworten. Jeder Verwalter begibt sich – egal wie er sich entscheidet – auf sehr dünnes Eis und man kann nur hoffen, dass die Eigentümer erkennen, dass ihre Verwalter weder faul sind – weil sie keine Eigentümerversammlungen abhalten – noch besonders risikofreudig – weil sie Eigentümerversammlungen abhalten. Wir kennen keinen Kollegen, der sich hier leichttut.
Sicher ist nur: Die von einigen WEGs geforderten rein digitalen Eigentümerversammlungen sind auch in Corona-Zeiten und unter Berücksichtigung der neuen Regelungen des WEG nicht zulässig. Hier ist das Eis nicht nur dünn, sondern eindeutig nicht tragfähig. Die WEG landet bei diesem Corona-Chaos im eiskalten Wasser, die rein digital gefassten Beschlüsse sind nichtig.